Call for Papers: “Digitale Kommunikation und gesellschaftliche Steuerung: Gesellschaftliche Perspektiven auf digitale Netzwerke, Infrastrukturen und Kommunikation” 5. Jahrestagung des Arbeitskreises “Digitalisierung als Herausforderung für die soziologische Theorie” der DGS-Sektion Soziologische Theorie, 30.11.-01.12.2023, Berlin, Deadline: 30.06.2023

Digitale Kommunikation und gesellschaftliche Steuerung: Gesellschaftstheoretische Perspektiven auf digitale Netzwerke, Infrastrukturen und Kommunikation
Call for Abstracts zur 5. Jahrestagung des Arbeitskreises „Digitalisierung als Herausforderung für die soziologische Theorie“ der DGS-Sektion Soziologische Theorie

Organisation: Cordula Kropp, Gesa Lindemann Ort: Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG), Berlin

Termin: 30.11.-1.12.2023

Nachdem es in den ersten Jahren des Arbeitskreises primär darum ging, inwiefern die Digitalisierung als eine Herausforderung für sozialtheoretische Konzepte zu begreifen ist, wollen wir uns anlässlich des 5-jährigen Bestehens des AK der Frage zuwenden, ob die Struktur moderner Gesellschaften durch die Digitalisierung verändert wird. Wird sich die (moderne) Gesellschaft unter dem Eindruck der Digitalisierung in ihren wesentlichen Strukturmomenten verändern? Die moderne Gesellschaft wird wahlweise als kapitalistisch, als rationalisiert oder als funktional bzw. horizontal oder fraktal differenzierte Gesellschaft beschrieben. Sind solche Charakterisierungen noch zutreffend oder müssen sie differenziert oder sogar grundsätzlich modifiziert werden? Mit dem Call rücken wir die gesellschaftstheoretisch relevante Dimension der Digitalisierung in den Mittelpunkt.

Gesellschaftliche Steuerung erfolgt über koordinierende Institutionen und Agenturen. Im Sinne einer kapitalismuskritischen Analyse könnte man daher fragen, ob die symbolische Vermittlungen einschließenden Marktmechanismen durch automatisierte Formen der Güterallokation ersetzt werden könnten. Wird die Institution des Eigentums durch die Digitalisierung zu einer Fessel der Produktivkräfte, wie Paul Mason (2015) vermutet. Besteht die Möglichkeit, dass durch digitale, datenbasierte Kommunikation die Organisationsform des (national zugeordneten) Unternehmens erodiert und damit der Zusammenhang von Politik und Wirtschaft ganz neu geordnet wird? Bilden sich etwa neuartige interne und externe Referenzen von Organisationen in grenzoffenen Datenobjekten, wie etwa Cristina Alaimo und Jannis Kallinikos (2022) diagnostizieren?

Die auf der Institution der Grundrechte aufbauende horizontale Differenzierung erfordert es, dass Individuen als moralisch verantwortliche Akteure kommunikativ adressiert werden (Lindemann 2018). Verliert diese Form der moralischen Individualisierung durch die Digitalisierung ihre Bedeutung für die Steuerung moderner Gesellschaften? Oder treten neben die moralisch verantwortlichen natürlichen und juristischen Personen weitere zu integrierende Handlungssubjekte? Inwiefern hängt dies möglicherweise mit einer Überführung von sozialen Normen in technische Normen (Barth et al. 2023) zusammen?

Teil der modernen Differenzierung ist der Glaube an „rationale Steuerung“ (Weber). Diese gilt als berechenbar und legitim, weil es möglich ist, Verantwortlichkeiten zu benennen. Verändert die fehlende Zurechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit maschineller Entscheidungen und Problemlösungen diese zentrale „Einverständnisgemeinschaft“ im Sinne Webers oder steigert sie das Technikvertrauen weiterhin, wie von ihm angesichts in der Breite fehlenden Wissens 2 über die rationale Basis von Währungen und Straßenbahnen beschrieben, – vielleicht bis hin zu einer ohnmächtigen Verehrung vermeintlich überlegener Rationalität? Digitale Technologien ermöglichen oftmals neuartige epistemische Dinge (bspw. virale Verbreitungsmuster, Luftschadstoffe, Microtargeting), deren Konstitution aus algorithmisch berechneten, stochastischen Muster sie anregen und in neue Beziehungen und Institutionen überführen können (bspw. Mau 2017; Nassehi 2019). Digitale Technologien erlauben aber auch neue Perspektiven auf gesellschaftstheoretisch bislang marginalisierte Wirkmächtigkeiten (agency, bspw. von lebendigen Wesen oder Materialitäten): Verändern die digitalen Experimentalsysteme damit auch gesellschaftstheoretische Koordinatensysteme wie etwa Subjekt-Objekt-Verhältnisse (Block/Dickel 2020) und den industriellen, objektivierenden Bezug auf „Umwelt“ oder „Materie“ (Gabrys 2020; Picon 2020)?

Noch bevor digitale Steuerungseffekte auf Markt- und Organisationszusammenhänge beleuchtet wurden, konzentrierte sich die Debatte auf einen erwarteten digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit. Auch weiterhin wird angenommen, dass die informationstechnischen Austauschformate einer many-to-many-Kommunikation, einer Politik im Netz und konkurrierender Plattformen zu einer Pluralisierung von Öffentlichkeiten und ihrer Rolle in der Strukturierung von Meinungsbildung führen (Hofmann et al. 2019; van Dijk 2019, Schrape 2021, (Schünemann 2018)). Wie ist die Koordinierungsfunktion von digitalen Öffentlichkeiten gesellschaftstheoretisch einzuschätzen?

Wir bitten um Vortragsvorschläge, die sich explizit auf gesellschaftstheoretische Fragen im Zuge fortschreitender Digitalisierung richten. Beispielhafte Fragen:

  • Lassen sich Institutionen identifizieren, die durch Formen der Digitalisierung umgewandelt wurden?
  • Welche neuen epistemischen Dinge entstehen?
  • Welche gesellschaftsstrukturell relevante Akteurskonstellationen bilden sich?
  • Gefährdet die Digitalisierung die Möglichkeit rationaler Steuerung?
  • Ist der digitale Kapitalismus strukturverändernd?
  • Eröffnet die Digitalisierung die Möglichkeit, den Kapitalismus zu überwinden?
  • Untergräbt Digitalisierung mit ihren neuen wirtschaftlichen Organisationsformen die Existenzbedingungen demokratischer Nationalstaaten?
  • Werden die Möglichkeiten der demokratischen Meinungsbildung durch Formen der Digitalisierung (und Automatisierung) erweitert oder korrumpiert?
  • Welche Konsequenzen hat es, wenn geistige Arbeit automatisiert wird?
  • Welche Veränderungen der Arbeitsstruktur zeichnen sich ab?
  • Führt die Beschränkung von Erkenntnis auf die Identifikation von Mustern zu einer gesellschaftlichen Stagnation?
  • Was sind die erkenntnisleitenden Annahmen, die in die Konstruktion von KI eingehen?
  • Wie werden gesellschaftliche Selbstbeschreibungen dadurch präformiert?

Einreichungen (ca. 1,5 Seiten) senden Sie bitte bis zum 30. Juni 2023 an cordula.kropp@sowi.uni-stuttgart.de und gesa.lindemann@uni-oldenburg.de

 

Den vollständigen Call als pdf finden Sie hier.