Call for Papers: 4. Jahrestagung des AK “Digitalisierung als Herausforderung für die Soziologische Theorie”

4. Jahrestagung des Arbeitskreises “Digitalisierung als Herausforderung für die Soziologische Theorie”, 2./3. Dezember 2022, Universität Oldenburg

Technologie, Struktur, Semantik, Zeitdiagnose? Welchen theoretischen Stellenwert hat der Begriff der Digitalisierung?
Die Digitalisierung ist eines der virulentesten Schlagwörter der Gegenwart. Sie wird für eine Vielzahl unterschiedlicher Prozesse und Transformationen herangezogen, um den aktuellen gesellschaftlichen Wandel analysieren und beschreiben zu können. Vor allem Zeitdiagnosen zum Fortschritt und Verfall der Gesellschaft haben in diesem Zusammenhang eine hohe Konjunktur. Dabei ist wenig umstritten, dass dieser Wandel mit der zunehmenden Verbreitung von digitalen Technologien in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen verbunden ist (Pfeiffer 2021). Zudem besteht weitgehende Einigkeit, dass es sich bei der Digitalisierung um einen Prozess der Umwandlung von analogem Wissen in digitale Informationen handelt ( Böhnke/Schröder 2004; Lupton 2015). Darüber hinaus ist jedoch umstritten, wie weit der Transformationsprozess der Digitalisierung historisch, technologisch und gesellschaftlich zurückreicht. Würde man sich auf die rein semantische Ebene konzentrieren, könnte man für den deutschsprachigen Raum nicht sehr weit zurückblicken, da der Begriff der Digitalisierung erst in den 1980er Jahren im Deutschen adaptiert wurde (Loleit 2004). Sicher scheint hier zunächst nur, dass die theoretischen Rückschlüsse auf den Begriff der Digitalisierung davon abhängen, welche Geschichte der Digitalisierung erzählt wird (Bayreuther 2019, Burckhardt 2017; Pias 2019). Im Rahmen der 3. Jahrestagung des Arbeitskreises “Digitalisierung als Herausforderung für die soziologische Theorie” stellen wir uns die Frage, welche historischen, technologischen und gesellschaftlichen Kontinuitäten und Brüche mit dem Begriff der Digitalisierung in Verbindung gebracht werden können und sollten. Wir suchen dabei nach einer interdisziplinären Perspektivierung und Verständigung, die historische, technologische, gesellschaftliche und kulturelle Prozesse gleichermaßen im Blick hat. Für die Tagung werden also Beiträge gesucht, die den Stellenwert des Konzepts der Digitalisierung aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven in den Blick nehmen. Hier kommen Positionen aus der Soziologie, Geschichtswissenschaft, Medienwissenschaft, Informatik, Kulturwissenschaft, Philosophie und verwandten geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern in Betracht.

Im Fokus steht dabei der epistemologische Status des Begriffs der Digitalisierung. Dient er einer losen Ansammlung verschiedener Phänomene und Entwicklungen oder lässt er sich doch begrifflich und theoretisch näher kontextualisieren und definieren? Wenn letzteres zutrifft: in welchem Verhältnis stehen hier semantische und gesellschaftliche, kulturelle und technologische, prozessuale und strukturelle, materielle und ideelle Aspekte und Dimensionen? Muss beispielsweise die Digitalisierung als vorrangig technologischer Transformationsprozess verstanden werden, der erst im Nachhinein kulturelle, gesellschaftliche und semantische Folgewirkungen hat (Baecker 2018)? Oder lassen sich ideelle und kulturelle Muster identifizieren, die den technologischen Wandel erst denkbar und möglich gemacht haben (Nassehi 2019)? Ist die Digitalisierung möglicherweise nur eine weitere Phase der Optimierung und Beschleunigung der technischen, institutionellen und gesellschaftlichen Transformationen des Kapitalismus (Betancourt 2018; Castells 1996; Staab 2019; Zuboff 2018; Pfeiffer 2021)? Oder sollten wir die Digitalisierung als das Aufkommen einer neuen soziotechnischen “Infrastruktur” beschreiben, die in ihrer zeitlich-räumliche Expansion sowie hybriden, komplexen Beschaffenheit erläutert und erklärt (Schabacher 2013, Star 1999)?

Im Rahmen der Tagung soll daher auch offen darüber diskutiert werden, welche Vor- und Nachteile die Erhebung des Digitalisierungsbegriffs in den Rang eines theoretischen Begriffs mit sich bringt. Der zusätzliche Erkenntnisgewinn des Begriffs muss hier möglicherweise mit dem Risiko einer Geschichtsvergessenheit gegenüber weitreichenderen Prozessen und gesellschaftlichen Kämpfen und Konflikten abgewogen werden. Kaufen wir uns hier am Ende nicht innerhalb der theoretischen Begriffe einen zeitsemantischen “Präsentismus” ein, der jegliche Distanz zu seinem Gegenstand verloren hat (Pias 2019)? Die Tagung knüpft damit an eine weit verstreute und interdisziplinär geführte Diskussion an (Burkhardt 2015; Häußling et al 2017; Houben/Prietl 2018). Unter Begriffen wie Standardisierung, Algorithmisierung, Technisierung, Automatisierung oder Datafizierung wird der Stellenwert der Digitalisierung mittlerweile intensiv diskutiert. Hier stellt sich erstens die Frage, ob der Begriff der Digitalisierung als Synonym, eigenständiger, unter- oder übergeordneter Prozess verstanden werden muss – und aus welchen Gründen. Zweitens muss gefragt werden, welchen zeit- und transformationstheoretischen Stellenwert die Digitalisierung hat. Ist sie ein Bruch, eine Kontinuität, eine Steigerung? Drittens kann danach gefragt werden, in welchem Zusammenhang die Digitalisierung mit anderen Prozessen und Entwicklungen steht, die unter Stichwörtern wie Singularisierung (Reckwitz 2019), Überwachung (Bächle 2016; Zuboff 2018), Kontrolle (Deleuze 1993) oder auch Privatisierung, Kapitalisierung und Globalisierung diskutiert werden. Viertens kann die fiktionale Wirkmächtigkeit von Diskursen und Narrativen der Digitalisierung fokussiert werden. Dabei lässt sich danach fragen, wie Diskurse und narrative Imaginationen über digitale Zukünfte formiert werden und wie sie im gegenwärtigen Aufbau von Infrastrukturen der Kommunikation die technischen Bedingungen und Trajektorien digitaler Sozialität hervorbringen: als Interfaces, als Plattformen, als Social Media, als Programmierungen und Quellcodes.

Wir freuen uns über Einsendungen in Form eines maximal zweiseitigen Abstracts mit einem Beitragsvorschlag per E -Mail bis zum 30.04.2022 an jan.fuhrmann1@uni-oldenburg.de und mstetten@uni-bonn.de.

Den vollständigen CfP finden Sie hier: CfP_AK Digitalisierung 2022