Fleisch ist ein besonderes Nahrungsmittel und gerät zunehmend ins Blickfeld der Soziologie. Dies ist längst überfällig, hat doch kein anderes Lebensmittel eine derart prominente Stellung im Speiseplan und so weitreichende gesellschaftliche Folgen. Während sich die ‚Normalität‘ des Fleischkonsums in den letzten Jahren merklich globalisiert, wird sie in den westlichen Industriestaaten nun auch problematisiert. Zunehmend verbindet sich der Wandel von Fleischkonsum und -produktion mit anderen Transformationsdynamiken – mit Modernisierungsprozessen, kultureller Diffusion und dem Klimawandel genauso wie mit dem Wandel von Geschlechterbildern, moralischen Diskursen und Distinktionsweisen.
Während Bourdieu die Distinktionskraft des Fleischkonsums an der Gegenüberstellung von „Notwendigkeits-“ und „Luxusgeschmack“ festmacht, haben sich Ernährungsstile seitdem deutlich pluralisiert. Darüber hinaus wurde eine verstärkte moralische und politische Aufladung des Konsums beobachtet, womit sich auch die Frage nach der Distinktionswirkung des politischen oder ethischen Fleischverzichts stellt. Fleischverzicht und -reduktion werden häufig auch medizinisch legitimiert oder gesellschaftlich eingefordert. Zu klären ist hier der Zusammenhang von Fleisch mit von der Gesundheitssoziologie diagnostizierten Körpertechnologien der Selbstoptimierung. Die Geschlechtersoziologie hat auf die starken Bezüge von Männlichkeit und Fleisch (bzw. spezifischen Fleischsorten) hingewiesen und die weibliche Konnotation des Vegetarismus herausgearbeitet. Fragen stellen sich aktuell hinsichtlich des Verhältnisses verschiedener Essstile wie Vegetarismus, Veganismus und Flexitarismus oder auch im Hinblick auf den Status von sogenannten „Fleischalternativen“. Vermehrt werden am Gegenstand des Fleischkonsums auch sozialtheoretische Fragen diskutiert – etwa die nach den intersektionalen Überschneidungen verschiedener sozialer Herrschaftsverhältnisse oder die Frage nach der Materialität von Fleisch, tierlicher und menschlicher Körper.
Die relativ neue soziologische Thematisierung von Mensch-Tier-Verhältnissen hat auch die sozialen Spannungen rund um die Fleischproduktion in den Fokus gerückt. Während die Verbindung zwischen Tier und Fleisch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung im Laufe des „Zivilisationsprozesses“ (Elias) zunehmend gelöst wurde, holen aktuelle Trends eines „bewussten Fleischkonsums“ auch den Akt des Schlachtens und das Bearbeiten von Fleischteilen wieder hervor. Aufzuklären ist weiterhin auch die scheinbar paradoxe Gleichzeitigkeit der fortschreitenden Intensivierung der Tierproduktion und der zunehmenden gesellschaftlichen Sensibilisierung für das Tierwohl.
In der geplanten Session sollen theoretische und empirische Sichtweisen auf Fleischkonsum und -produktion ins Gespräch gebracht werden, um die Bedeutung von Fleisch im aktuellen „Ernährungswandel“ besser zu verstehen.
Deadline ist der 31.3.2019, weiter Informationen finden sich hier.