Call for Papers: “Qualitative Forschung in polarisierten Feldern” – Ad Hoc-Gruppe auf dem 41. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie „Polarisierte Welten“ (26. bis 30. September 2022 in Bielefeld)

Organisation: Ajit Singh, Sarah Hitzler, Sebastian Dahm, Ruth Ayaß (AG Qualitative Methoden, Fakultät für Soziologie, Universität Bielefeld)

Die Ad-hoc-Gruppe befasst sich mit der Frage, welche Beiträge qualitative Sozialforschung für das Verständnis, die Beschreibung und womöglich auch für Veränderungen polarisierter Felder leistet. Ausgangspunkt ist ein Verständnis von interpretativer Sozialforschung, die auf unterschiedliche Weise mit ihren untersuchten Gegenständen affiziert, verstrickt und verbunden sein kann und sich in polarisierten Feldern entweder selbst positioniert oder zu einer Positionierung gezwungen sieht.

Die Geschichte qualitativer Sozialforschung, mit ihren Anfängen in der Chicago School, zeigt auf, dass das empirische Anliegen über die Exploration und Rekonstruktion sozialer Sachverhalte hinausgehen und gesellschaftliche Missstände aufdecken kann. Goffmans Untersuchung zu totalen Institutionen verdankt ihre außerordentliche Wirkung wiederum ihrer klaren Positionierung (auf Seiten der ‚inmates‘). In aktuellen Begleitforschungen z.B. von Technikprojekten werden qualitative Methoden explizit mit der Erwartung konfrontiert, auf die Felder einzuwirken und den Lauf der Dinge dort zum ‚Besseren‘ (etwa: mehr Akzeptanz) zu wenden, wodurch auch gegenwärtig immer wieder neue Positionsbestimmungen erforderlich werden

Ebenso beeinflussen die verschiedenen erkenntnistheoretischen Perspektiven (u.a. verortet im Pragmatismus, im Symbolischen Interaktionismus, in der Ethnomethodologie) und methodologischen Prämissen die Frage, wie qualitative Sozialforschung betrieben werden soll und welche Rolle Forschende in diesen Untersuchungen einnehmen können oder gar müssen.

Das Spannungsfeld gesellschaftlicher Polarisierungen hat sich dabei längst im Selbstverständnis qualitativer Methoden eingeschrieben. Der Balanceakt zwischen Vertrautheit und Fremdheit ist nicht nur für ethnografische Verfahren konstitutiv. Vielmehr handelt es sich um ein grundsätzliches Erkenntnisprinzip, das aus der Reibung zwischen Unmittelbarkeit und theoretisierender Bearbeitung durch die Forschenden Erkenntnisse zu gewinnen versucht. Die Spannung zwischen den Deutungen des Feldes und jenen der Disziplin ist damit ein inhärent methodologisches Problem, das dort fortgeführt wird, wo die Erkenntnisse aus qualitativen Studien schließlich wieder für das Feld selbst fruchtbar gemacht werden sollen, sich dabei aber unmittelbaren Implementierungen oft verschließen.

Vor diesem Hintergrund fragt die Ad-hoc-Gruppe zum einen nach der method(olog)ischen Positionalität der Forschenden und nach deren Wirkungen auf politische, moralische und soziale Handlungsräume der Akteur:innen in polarisierten Feldern. Zum anderen fragt die Gruppe nach den Impulsen und der subversiven Kritikfähigkeit interpretativer Methoden, die wissenschaftliche Standpunkte und bestehende gesellschaftliche Vorstellungen herausfordern, hinterfragen und irritieren können.

Konkret zielt die Ad-hoc-Gruppe auf die folgenden Fragen:

  • Wie werden soziale Felder durch (Neu-) Interpretationen und Perspektivenwechsel qualitativer Forschungsergebnisse verändert und inwieweit trägt auch qualitative Forschung zu Polarisierungen bei?
  • Inwieweit bestimmt die individuelle Nähe/Distanz zu den Untersuchungsfeldern unseren Forschungsstil und welche Auswirkungen hat dies auf die Ergebnis- und Wissensproduktion?
  • Welche polarisierende Kraft haben Fragestellungen und Feldstrukturen?
  • Inwieweit spiegeln sich gesellschaftliche Polarisierungen in der Praxis qualitativer Forschung wider? Wie wirkt sich dies auf methodische Anforderungen qualitativer Forschung aus?
  • Welche Konsequenzen ergeben sich für die Positionalität der Forschenden im Feld? Welche Konsequenzen hat dies für die Generierung von Daten und die Zusammensetzung des Korpus?
  • Welche – möglicherweise widersprüchlichen und konfliktträchtigen – Erwartungen werden Forschenden kommuniziert? Werden Konflikte des Feldes auf die Forscherin projiziert? Werden in der Forschung Konflikte der Gesellschaft auf das Feld projiziert? Wem sind wir als Forschende verpflichtet?
  • Welches Wissen produzieren wir im Zuge qualitativer Forschung? Wie bereiten wir es für die Verwendung auf? Wer verwendet es und auf welche Weise wird es in praktisches Handeln überführt?

Den offiziellen Call for Papers finden Sie hier.

Bitte senden Sie Ihre Beitragsvorschläge bis zum 27.4.2022 an sarah.hitzler@uni-bielefeld.de und ajit.singh@uni-bielefeld.de.