Call for Contributions – Deadline: 09.03. 2023
“Wissenstransfer in der Krise? Soziologische Perspektiven auf Herausforderungen und Gelingensbedingungen von Wissenschaftskommunikation zu Nachhaltigkeitsproblemen”
Tagung des DGS-Arbeitskreises „Soziologie der Nachhaltigkeit“
1. und 2. Juni 2023, Universität Hamburg
Wissenstransfer, verstanden als Wissenschaftskommunikation in Anwendungskontexte und mit dem Ziel, gesellschaftliche Nachhaltigkeitsprobleme zu lösen, ist in Zeiten multipler Krisen gefragt. Die Herstellung von Autorität und die Absorption von Unsicherheit mittels materieller, literarischer und sozialer Technologien sind dabei wesentliche Elemente des Transfers (Shapin und Schaffer 1995). Während auf diese Weise wissenschaftlich-technisches Wissen in den vergangenen Jahrhunderten die Stellung einer zentralen kulturellen Autorität erlangt hat, an die man sich in Krisenzeiten wendet, ist es nachgerade diese Stellung, die die Wissenschaft zunehmend in polarisierte öffentliche Debatten und politische Entscheidungsprozesse involviert (Jasanoff 2004, 1990).
Es bedarf also des Krisenwissens aus der Wissenschaft, aber der Wissenstransfer stellt sich selbst als krisenhaft heraus: Die Gesellschaft ist als Wissensgesellschaft auf wissenschaftliches Wissen angewiesen, um sich selbst und ihre Infrastruktur zu reproduzieren, aber auch um jene Probleme zu bewältigen, die selbst auf die Anwendung wissenschaftlichen Wissens zurückgehen (Apel 1998). Zuletzt traten in der Corona-Pandemie grundlegende Probleme des Wissenstransfers zutage, insbesondere die Vertrauenswürdigkeit, Zuständigkeit und Reputation von Expertinnen, die disziplinäre Fragmentierung der Wissensgrundlagen, der Umgang mit Mehrstimmigkeit, unsicherer und vorläufiger Evidenz sowie Unabhängigkeit und Legitimationsgrundlagen des Expertenrats. Auch jenseits solcher ad-hoc Krisen des Transfers angesichts sich plötzlich aufdrängender Problemlagen bestehen grundsätzliche Probleme, wenn Wissen in Praxiskontexten angewendet wird und massive negative Effekte auf eben diese Wissensanwendung zurückzuführen sind, wie beispielsweise in der Forst- und Landwirtschaft Verluste infolge empfohlener Fichtenmonokulturen. Es stellt sich die Frage, was dies für den Wissenstransfer in eine(r) krisengeschüttelten Gesellschaft impliziert.
Obwohl in Deutschland Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Stiftungen und andere Akteure zahlreiche dem Transfer gewidmete Einrichtungen institutionalisiert haben, erscheinen die Risiken der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Medien und Politik nach wie vor ungelöst (vgl. Weingart et al. 2000). Zwar liegt vielen Ansätzen und auch manchen politischen Programmen die Annahme zugrunde, dass für Wissenstransfer Erfolgsrezepte gefunden werden können, die das Transferproblem ein für alle Mal lösen. Jedoch deuten soziologische Analysen der Beziehungen gesellschaftlicher Teilsysteme wie Wissenschaft, Politik, Medien, Wirtschaft und Recht darauf hin, dass diese sich in der Gesellschaft zu sozialen Systemen mit eigenen Operationslogiken ausdifferenziert haben. Diese strukturellen Gegebenheiten resultieren in dauerhaften Übersetzungs-, Selektions-, Interpretations- und Distanzproblemen (Weingart 2001). Um diese zu bearbeiten treten neben traditionelle Akteure des Wissenstransfers eine Vielzahl neuer, häufig wenig sichtbarer, Organisationen. Beispiele sind das Science Media Centre (Broer 2020), medical writing und data analytics Organisationen in der Medizin (Sismondo und Doucet 2010) oder etwa open source Plattformen wie zum Beispiel Oryx im Bereich Verteidigungsanalysen (Forbes 2022).
Vor diesem Hintergrund möchte die SONA Tagung in Hamburg den Wissenstransfer in Anwendungskontexte als Forschungs- und Praxisproblem beleuchten. Eine Ausgangsannahme ist, dass zur Bewältigung von Krisen wie Klimawandel und Corona-Pandemie zuvörderst kommunikative Krisen bewältigt werden müssen, namentlich der Übersetzung und Kopplung zwischen Wissenschaft, Politik und Medien. Eingeladen sind sowohl theoretisch-konzeptionelle Überlegungen als auch Beiträge, die über die Ergebnisse empirischer Forschung berichten.
Die Beiträge können sich etwa mit den folgenden Themen beschäftigen:
1. Wer betreibt Wissenstransfer zu gesellschaftlichen Problemlagen, zu
Nachhaltigkeitsproblemen? Was ist die Rolle konkreter Akteure in konkreten Krisen?
2. Wie sichtbar sind die Transferakteure selbst? Mit welchem Selbstverständnis wird
Wissenstransfer betrieben? Wie wird die eigene Praxis reflektiert?
3. Wer übernimmt Verantwortung für Konsequenzen des Wissenstransfers?
4. Wie verändert sich Wissenstransfer im Kontext gesellschaftlicher Megatrends, wie
etwa der Digitalisierung?
Darüber hinausgehende Perspektiven im Themenfeld der Tagung sind ebenfalls willkommen.
Abstracts (max. 500 Worte) bis zum 09.03.2023 an Linda Winkler (linda.winkler@studium.uni-hamburg.de).
Veranstalterinnen: Prof. Dr. Cristina Besio, cristina.besio@hsu-hh.de, Prof. Dr. Anna Henkel, anna.henkel@uni-passau.de, Prof. Dr. Simone Rödder, simone.roedder@uni-hamburg.de
Die Konferenz wird in den Räumen der Universität Hamburg stattfinden, Grindelberg 5-7, 20144 Hamburg (Nähe Dammtorbahnhof).
Den vollständigen Call finden Sie hier.